Bei der 2-Milliarden-Vergabe der SBB gibt es viele Fragezeichen

* Die SBB wollen einen Zwei-Milliarden-Auftrag nach Deutschland statt in die Schweiz vergeben. * Es ist unklar, wie knapp es wirklich ausging, und ob nicht unscharfe Beurteilungen in den Entscheid einflossen. * Die Argumente der SBB wirken durchs Band fadenscheinig, Stadler Rail wird wohl Rekurs einlegen.

Business Class Ost
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Eckhard Baschek

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BCO-Kommentar Eckhard Baschek SBB-Stadler Rail
«Business Class Ost»-Chefredaktor Eckhard Baschek.

Die Schweizerischen Bundesbahnen haben entschieden: Der Auftrag für 116 Doppelstockzüge – 95 für das Zürcher S-Bahn-Netz, 21 für die Region Genfersee, dazu eine Option von 84 weiteren Zügen – geht nach Krefeld. Dort wird Siemens Mobility die Züge bauen, denn in der Schweiz hat der deutsche Konzern keine Produktionsstätten. Stadler Rail und eine weitere Mitbewerberin hatten das Nachsehen, bei einer Preisdifferenz von 18 Millionen Franken sprich einem knappen Prozent im Fall von Stadler Rail. Da stellen sich mir einige wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen, die die SBB hoffentlich noch beantworten werden, denn was bisher argumentiert wird, klingt in meinen Ohren fadenscheinig.

Rund 0,7 Prozent sind wahrlich nicht viel, und trotzdem sprechen die SBB von einem «grossen Abstand» und einem «klaren Entscheid». An den Kosten konnte es also nicht gelegen haben. Bei einem Projekt dieser Grössenordnung, das erst 2028 startet und im Jahr 2031 auf die Schienen geschoben wird, wirkt es verwunderlich, wenn die SBB behaupten, die Bewertungen für die Vergabekriterien seien «völlig mathematisch» verteilt worden. Das ist eine Scheingenauigkeit. Das Siemens-Projekt existiert derzeit erst auf Papier und besteht aus einer Zusammenstellung mehrerer Konzepte – ähnlich wie es damals bei der Bestellung bei Bombardier lief. Man erinnert sich: Schüttelzüge, die die SBB später auf eigene Kosten von geschätzten 200 Millionen Franken nachbessern mussten. Bei der Gelegenheit wurde nachträglich auch auf die so hochgelobte Neigetechnik verzichtet, die ein schnelleres Fahren erlaubt hätte. So weit zum Thema mathematische Genauigkeit. Man kann natürlich mathematisch genaue Kriterien aufstellen, aber bei der Bewertung spielen immer menschliche Faktoren hinein. So ist das bei allen Projekten, und das sollte auch den SBB bewusst sein. Und bei Stadler Rail würde einfach das homogens, erfolgreiche Konzept der KISS-Züge weiterentwickelt.

Als sich Stadler Rail vor zwei Jahren bei einem Grossauftrag gegen Siemens durchsetzte, hagelte es Kritik vom Schweizer Siemens-Länderchef. «Wenn die SBB nur noch als Stadler-Bundesbahnen wahrgenommen werden, wäre dies sehr schlecht für künftige Innovationen und Investitionen in der Schweizer Bahnindustrie», sagte er 2023 der «NZZ». Eine Drohung mit der EU-Keule? Dabei nehmen es die Siemensler möglicherweise manchmal selber nicht so genau mit schlanken Offerten, wenn es nicht sein muss. Kolportiert wird eine Geschichte, bei der Siemens als Projektgewinner einmal rund 50 Millionen Franken in Rechnung stellte. Ein unterlegener Mitbewerber legte Rekurs ein, gewann, und nach einer ordentlichen Ausschreibung kostete der Auftrag nur noch gut 30 Millionen Franken.

Ein weiteres Argument der SBB ist die Nachhaltigkeit. Um mit der klaren Kante eines Gerd Scheller von wegen Stadler-Bundesbahnen zu antworten, könnte man sagen: Der Deal kann so nachhaltig nicht sein, mit diesen Kohle-Krefeld-Kumpels. Abgesehen davon, dass Krefeld, etwas nordwestlich von Düsseldorf gelegen, bei pünktlicher Zugfahrt 9 Stunden weit weg liegt, konkret 650 Kilometer, dürfte das Krefelder Siemens-Werk seinen Strom von den Stadtwerken Krefeld beziehen. Hoffentlich mit einem grünen Strommix, denn der örtliche Energieversorger bezieht nach eigenen Angaben knapp 30 Prozent seiner Energie aus Kohle; bei Wärme sind es sogar mehr als ein Drittel. Geht so Nachhaltigkeit?

Das vorteilhafteste Angebot für die Steuerzahlenden?

Klar, die Schweiz sollte sich bei der Beschaffung nicht von ausländischen Anbietern abschotten, grundsätzlich gilt Wettbewerb. Aber immerhin erwartet der Bundesrat von den SBB laut seinen strategischen Zielen: «Die SBB trägt bei ihrer Organisation den Anliegen der verschiedenen Regionen des Landes Rechnung.» Will heissen: Beim öffentlichen Beschaffungswesen sollen explizit Unternehmen berücksichtigt werden, die zu einer Stärkung des inländischen Werk- und Ausbildungsplatzes beitragen. Diesem Gedanken wird in diesem Fall nicht nachgelebt. Die SBB sind stark von den Steuerzahlenden abhängig. Der Bund ist heute gefordert, die Industrie vor einem allzu grossen Arbeitsplatzabbau zu verschonen. Mit der Auftragsvergabe nach Krefeld, das schreiben die SBB selber, würde nur ein Teil der Wertschöpfung in der Schweiz verbleiben. Bei einem Zuschlag für die Thurgauer wären es hingegen fast 80 Prozent, erklären die Thurgauer, und davon würden auch, sagt Stadler Rail, auch 200 Zulieferbetriebe profitieren. Man kann davon ausgehen, dass dann das Werk in St.Margrethen massiv ausgebaut werden würde. Stadler spricht von Schweizer Wertschöpfung in der Schweiz aus Siders, Bussnang und St.Margrethen (und nicht Spanien). Im Falle von Siemens sprechen die SBB eben nur von einem «Teil der Wertschöpfung», ohne das genau zu beziffern. Hoch dürfte er nicht sein, geht es doch lediglich um Projektabwicklungsaufgaben, Test-, Zulassungs- und Inbetriebsetzungsaktivitäten und Instandhaltungsarbeiten während der Gewährleistungsfrist – und ein paar Schweizer Zulieferer.

Schwach wirkt auch die Kommunikation der SBB. Das Schreiben macht mir den Eindruck, als hätten einige Juristen mit der heissen Nadel eine Medienmitteilung zusammengezimmert (hier nachzulesen). Ausführlich werden darin juristische Umstände ins Feld geführt, ohne zu beschreiben, wie sie umgesetzt wurden. Das sind Nebelpetarden. Die SBB werden darin abwechselnd in der Einzahl und der Mehrzahl bezeichnet, es fehlt ein Satzschlusszeichen, und der Umsatz von Siemens in der Schweiz wird in Euro angegeben. Das riecht nach Nervosität, nicht nach Stärke. Die SBB schreiben selber, dass sie beim Rollmaterial in den letzten 25 Jahren 72 Prozent bei Stadler Rail und nur 7 Prozent bei Siemens bestellten. So schlecht kann Stadler Rail also aus SBB-Sicht nicht sein.

Jedenfalls ist Stadler Rail mit seinen 6000 Angestellten in der Schweiz (Siemens Mobility: etwas über 1000) geübt im Rekurs-Einlegen. 2022 konnten die Bussnanger einen ÖBB-Auftrag über 186 Doppelstockzüge für 3 Milliarden Euro per Gerichtsentscheid zurückholen, nachdem ein geringer Formfehler – eine nicht EU-konforme elektronische Signatur – als Vorwand für eine Neuvergabe diente.

In 20 Tagen werden wir mehr wissen. Und später auch, ob es sich bei dem Projekt am Ende nicht nur um eines der grössten der SBB handelt, sondern um das allergrösste – wegen Kostenüberschreitungen.

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