Die vergangenen Wochen haben eindrücklich gezeigt, wie aufgeheizt und spaltend die politische Debatte in unserem Land geworden ist. Als neue Co-Präsidentin der FDP erlebe ich täglich, dass zunehmend ideologische Reflexe unseren politischen Prozess prägen. Doch wenn wir für die Menschen in unserem Land den Wohlstand und die Sicherheit sichern wollen, führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen wieder sachpolitisch, lösungsorientiert und mit Anstand politisieren.

Die Wirtschaft steht unter Druck. Globale Unsicherheiten und Krisen, steigende Standortkosten, Engpässe bei der Infrastruktur, grassierende Bürokratie und ein zunehmender Fachkräftemangel erschweren unseren Unternehmerinnen und Unternehmern jegliche strategische Planung. Gleichzeitig wachsen die Staatsausgaben ungebremst. Der Bundeshaushalt kennt seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Dabei wissen wir längst, dass wir massiv in unsere Sicherheit investieren müssen – in die Armee, in die Cyberabwehr, in die innere Sicherheit. Diese Realität darf man nicht ausblenden, indem man den Leuten Sand in die Augen streut und ungedeckte Checks verteilt. Denken wir zum Beispiel an die Initiative der Mitte, welche die Plafonierung der Ehepaar-Renten bei der AHV aufheben will. Schöne Idee. Aber dies kostet uns alle fast vier Milliarden Franken pro Jahr. Wie dies finanziert werden soll, bleibt wie bereits bei der 13. AHV-Rente unbeantwortet. So geht das einfach nicht.
Aussprechen, was viele denken
Umso mehr braucht es jetzt Mut und politische Redlichkeit. Die Schweiz kann nicht gleichzeitig mehr Sicherheit, bessere Infrastruktur und einen immer grösseren Sozialstaat finanzieren. Priorisierung ist kein Zeichen von Hartherzigkeit, sondern von Verantwortung. Der Fokus muss wieder jenen gelten, die tatsächlich Unterstützung brauchen – nicht der immer breiteren Umverteilung innerhalb des Mittelstands. Und auch nicht der Ausweitung von Staatsaufgaben im Sinne des Nanny-Staats.
Keine ideologischen Scheuklappen
Ebenso bedeutend ist unser Verhältnis zu unseren wichtigsten Partnern. Ob USA oder EU: Ein Zoll-Deal mit den USA ist richtig und wichtig – aber was zurzeit vorliegt, ist nicht ausdefiniert. Die USA haben in einem Joint Statement mit der Schweiz angekündigt, den Zollhammer auf Schweizer Exporte von 39 auf 15 Prozent zu senken. Das ist immer noch sehr hoch, verleiht unseren Unternehmen aber zumindest gleich lange Spiesse, wie die EU sie hat. Für die Schweizer Wirtschaft – insbesondere für exportorientierte Unternehmen – ist nun entscheidend, dass rasch Klarheit über das weitere Vorgehen, die Verbindlichkeit und mögliche Alternativen besteht – wobei im politischen Prozess dringend Transparenz hergestellt werden muss, was genau das Preisschild dieses Deals ist. Wer hier keinerlei Fragen stellt wie die SVP oder sich einfach rigoros dagegenstellt wie die SP, ist offensichtlich in erster Linie ideologisch unterwegs.
Und ein nüchterner Blick
Im Verhältnis mit der EU gewinnt die Schweiz, wenn sie verbindliche, verlässliche Rahmenbedingungen hat. Das ist im Interesse unserer exportorientierten Unternehmen, unserer Forschung und unseres gesamten Wirtschaftsstandorts. Als exportorientierter Kleinstaat sind wir auf offene Märkte, Rechtssicherheit und eine starke internationale Vernetzung angewiesen. Diese Verträge sind nicht perfekt, denn es gibt keine perfekten Verträge. Es ist immer ein Geben und Nehmen. So muss die Zuwanderung in die Schweiz selbstverständlich auch weiterhin am Arbeitsmarkt ausgerichtet sein. Und die innenpolitische Umsetzung der Verträge darf weder die bewährte Sozialpartnerschaft zerstören noch zu einer merklichen Ausweitung staatlicher Kontroll- und Regulierungskompetenzen führen. Ebenfalls ist die bereits erfolgte Einigung der Sozialpartner kritisch zu überprüfen. Die flankierenden Massnahmen sollen erhalten und nicht ausgeweitet werden.
Was es jetzt braucht
Der Wohlstand der Schweiz verdient Realismus statt Illusionen. Wir verteidigen ihn nicht mit Symbolpolitik, sondern mit einer florierenden Wirtschaft, von der jede Schweizerin und jeder Schweizer profitiert. Was ich mir für die politische Debatte wünsche, ist etwas ganz Bodenständiges: Anstand, Klarheit und Ehrlichkeit. Weniger Klamauk, weniger Schwarz-Weiss-Denken, weniger taktische Empfindlichkeit. Dafür mehr Mut zu Entscheidungen. Entscheidungen, die nicht nur heute Applaus bringen, sondern die Schweiz langfristig stärken.
Über Susanne Vincenz-Stauffacher
Susanne Vincenz-Stauffacher (58) ist seit 2019 Nationalrätin. Seit Oktober führt sie die FDP.Die Liberalen Schweiz im Co-Präsidium mit dem Glarner Ständerat Benjamin Mühlemann. Der Hauptfokus ihrer Politik liegt auf einer wirtschafts-, sozial- und finanzverträglichen Energie- und Umweltpolitik mit Schwerpunkt Versorgungssicherheit. Als ehemalige Präsidentin der FDP Frauen Schweiz hat sie die Individualbesteuerungsinitiative erfolgreich lanciert und vorangetrieben. Sie lebt in Abtwil und arbeitet als selbständige Rechtsanwältin in St.Gallen.