Raiffeisen: «Das Schlimmste für die Ostschweizer Wirtschaft ist überstanden»

* An ihrer Prognosekonferenz 2026 präsentierte Raiffeisen Schweiz ihre Einschätzung für das nächste Jahr, auch für die Ostschweiz. * Der Gegenwind für die Ostschweizer Industrie werde anhalten, aber durch die Senkung des US-Zolls werde es keine grösseren Verlagerungen von Arbeitsplätzen geben, erklärte der Chefökonom Fredy Hasenmaile gegenüber «Business Class Ost». * Leise Hoffnung macht die Entwicklung Deutschlands, das seine Strukturprobleme bekämpfen will.

Business Class Ost
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Veröffentlicht am

2.12.2025

 von 
Eckhard Baschek

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KOMMENTAR

Raiffeisen Schweiz Prognosekonferenz 2026
In den Augen von Alexander Koch und Fredy Hasenmaile von Raiffeisen Schweiz gibt es keinen Grund für Enthusiasmus.

Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz, und Alexander Koch, Leiter Konjunktur- und Zinsanalysebei Raiffeisen Schweiz, sehen auch für die Schweiz den Zustand eines «merkwürdigen Gleichgewichts»: Die Situation ist zwar geprägt von den US-Zoll-Turbulenzen und der allgemeinen Unsicherheit, trotzdem gebe es positive Indikatoren. Mit dem herannahenden Zoll-Deal für die Schweiz von 15 Prozent bei den sogenannt «reziproken Zöllen» könne das Schlimmste verhindert werden. Betrachte man die Gesamt-Zollsituation mit den USA, könne man sogar von einem Durchschnitts-Zollsatz von knapp 7 Prozent reden. Denn die Ausnahmen Luftfahrt, Kaffeekapseln und Pharmaindustrie drückten den Durchschnittswert.

Die Situation in der Ostschweiz – viel Gegenwind, aber Aufhellungstendenzen: «Die Kuh ist vom Eis»

Die Branchenstruktur der Ostschweiz sei eben massgeblich geprägt vom Industriesektor, und das fast ohne Pharma. Das mache klar, sagt Fredy Hasenmaile zu «Business Class Ost», dass sich die Ostschweiz unterdurchschnittlich entwickeln dürfte und einen schwachen Start ins nächste Jahr hinlegen würde. Erschwerend komme hinzu, dass die Ostschweizer Industrie überdurchschnittlich von Deutschland abhängig sei. Der Gegenwind komme somit auch vom dortigen Strukturwandel und einer eigentlichen deutschen Strukturkrise, die nicht ausgesessen sei.

Auf der anderen Seite sieht er Aufhellungstendenzen: Der Investitionsentscheid in Deutschland nähre Erwartungen und löse auch etwas aus. Für die Ostschweizer Industrie liege «mehr drin», da es nun in Deutschland wieder etwas stärker aufwärts gehen sollte, auch wenn die erwartete Belebung noch nicht zu sehen sei und die deutsche Konjunktur «nur schleppend wieder in die Gänge» komme. Es herrsche etwas «Ernüchterung über die mangelnden Reformimpulse der deutschen Regierung». Insgesamt müssten die Ostschweizer Kantone bezüglich Deutschland deshalb unter dem Strich mit einer unterdurchschnittlichen Entwicklung rechnen. Aber: «Die Kuh ist vom Eis.»

Auslagerungen von Arbeitsplätzen ins Ausland, so Hasenmaile zu «Business Class Ost», fänden kontinuierlich statt. Er gab ein Beispiel: In einer Umfrage hätten rund 9 Prozent der Unternehmen vor dem 1. August noch über Verlagerungen nachdachten, nach dem Zollhammer seien es dann 13 Prozent gewesen. Doch der Abwanderungsprozess finde seit Jahren laufend statt, aber zum Glück nicht schubweise, sondern nur in Einzelfällen. «Solange diese Meldungen nicht gehäuft auftreten, ist die Wirtschaft wohl in der Lage, das abzufedern», auch dank dem liberalen Arbeitsmarkt. Wichtig seien gute Standortbedingungen wie eine optimal funktionierende Weiterbildung. Immer wieder höre er Klagen von Unternehmen über administrative Belastungen. Dieser zusätzliche Druck durch solche Behinderungen sei nicht förderlich; bei den an sich guten Bedingungen sieht er in den letzten Jahren dementsprechend Entwicklungen, «die nicht unbedingt in die richtige Richtung gehen».

Eine gehäufte Verlagerung sähe er nur, wenn der US-Zoll für die Schweiz auf dem global gesehen höchsten Niveau bliebe und nicht, wie jetzt in Aussicht stehend, global zu zu den tiefsten Sätzen gehören würde. Insgesamt sieht er für die Ostschweizer Wirtschaft eine positive Entwicklung 2026, auch wenn er vor überrissenen Erwartungen warnen müsse.

Die Situation in der gesamten Schweizer Wirtschaft

Insgesamt konnte das Exportvolumen seit Jahresbeginn weiter gesteigert werden. Die Zölle haben insofern noch keine tiefgreifenden negativen Auswirkungen hinterlassen. Dauerhafte Strafzölle von 39 Prozent hätten jedoch zwangsläufig zu gravierenden Folgen in den betroffenen Sektoren geführt. Mit der grundsätzlichen Verständigung über ein Handelsabkommen sowie dem Absenken des «reziproken» Zollsatzes auf 15 Prozent verfügt die Schweiz gegebenenfalls wieder über gleichlange Spiesse wie andere wichtige Handelspartnerländer wie vor allem die EU-Länder, und ein grösserer Schaden für die hiesige Wirtschaft kann abgewendet werden.

Gegenwind für Exportindustrie hält an

Die Beruhigung an der Zollfront bedeutet nicht, dass der Exportsektor sofort wieder durchstartet. Angesichts des hohen Volumens vorgezogener Exporte ist eine Aufholjagd nicht in Sicht. Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz, betont: «Der Exportsektor ist weiterhin erheblichem Gegenwind ausgesetzt, und auch US-Zölle in Höhe von 15 Prozent sind für die betroffenen Sektoren noch eine hohe Belastung.» Der Franken bleibt nach der kräftigen Aufwertung seit der Pandemie stark. Die Strompreise liegen im Vergleich zu anderen Industrieländern auf Spitzenniveau. China entwickelt sich zunehmend vom Wachstumsmarkt zum Konkurrenten und gleichzeitig kommt die europäische Nachfrage nach der jahrelangen Industrieflaute nur schleppend wieder in Gang.

Hasenmaile gab ein Beispiel: 30 Prozent der in die USA exportierenden KMU beurteilten die Geschäftslage als schlecht bis sehr schlecht; im Gegensatz dazu schätzten die binnenorientierten KMU die Lage mehrheitlich als gut bis sehr gut ein. Auch allgemein kämen aus der Weltwirtschaft derzeit keinerlei positiven Impulse.

Auch das Reallohnplus dürfte im nächsten Jahr geringer ausfallen, da die Lohnerhöhungen weniger stark ausfallen werden als noch im laufenden Jahr. Trotz einer rückläufigen Zuwanderung dürfte der Konsum weiterwachsen, jedoch ohne grosse Sprünge. Wir gehen deshalb bis Ende des nächsten Jahres von einem unveränderten Leitzins von 0,0 Prozent aus», erklärt Fredy Hasenmaile.

Arbeitsmarkt hat das Schlimmste überstanden

Die Schweiz hingegen weist im internationalen Vergleich einen stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit auf. Seit fast drei Jahren steigt die Quote langsam, aber kontinuierlich an. Die Arbeitslosenrate liegt inzwischen fast so hoch wie während der Finanzkrise von 2008, hat mit saisonbereinigt 3,0 Prozent allerdings noch kein alarmierendes Niveau erreicht.

Die anhaltende Abkühlung am Arbeitsmarkt ist nach Einschätzung der Raiffeisen-Ökonomen keine Nebenwirkung der US-Zölle, sondern hauptsächlich eine Folge der jahrelangen europäischen Industrieflaute. Der seit längerem anhaltende Gegenwind hält die Auslastung vieler Industriebetriebe niedrig. Mit der Zeit wurde ein Personalabbau daher unvermeidlich. Über längere Zeit konnte eine solide Nachfrage nach Arbeitskräften im Dienstleistungssektor den Rückgang der Industriebeschäftigung mehr als kompensieren.

Die Raiffeisen-Ökonomen sehen nach der vorläufigen Einigung im Zollstreit gute Chancen, dass sich der Abbau von Industriearbeitsplätzen nicht weiter beschleunigt. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich die Industrienachfrage stabilisiert und der Stellenabbau im nächsten Jahr schrittweise zurückgeht. Auch die Beschäftigungsnachfrage im Dienstleistungssektor sollte dadurch nicht stärker in Mitleidenschaft gezogen werden. Zwar könnte sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit kurzfristig fortsetzen, im Verlauf des nächsten Jahres dürfte er jedoch nachlassen und schliesslich auslaufen.

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