«Die Vollversicherung in der beruflichen Vorsorge kommt zunehmend unter Druck»

* Im Interview mit «Business Class Ost» spricht Felix Brandenberger, Leiter Marktentwicklung und Mitglied der Geschäftsleitung der Asga Pensionskasse in St.Gallen, über die Gesamtsituation. * In der beruflichen Vorsorge für Unternehmen gibt es immer weniger Vorsorgeeinrichtungen, die Vollversicherungen anbieten, bei denen die Versicherung das Anlage-Risiko übernimmt. * Für die versicherten Unternehmen und ihre Mitarbeitenden sind Transparenz und Vergleichbarkeit wichtig.

Business Class Ost
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Veröffentlicht am

16.12.2025

 von 
Eckhard Baschek

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KOMMENTAR

Interview Asga Pensionskasse Felix Brandenberger
Felix Brandenberger, Leiter Marktentwicklung und Mitglied der Geschäftsleitung der Asga Pensionskasse.

Durch stringente Anlagevorschriften für die Versicherungsgesellschaften, die Vollversicherungslösungen anbieten, sind die Anlagemöglichkeiten auf maximale Sicherheit und geringe Renditeerwartung ausgerichtet. Die Versicherungsgesellschaften tragen das gesamte Anlagerisiko, was dazu führt, dass das Vorsorgekapital sehr konservativ angelegt wird – man spricht auch von einem «Anlagekorsett». Die Anlagestrategien der Gesellschaften weisen in der Folge einen kleinen Aktienanteil auf und sind mehrheitlich in risikolosen Kapitalanlagen investiert.

Aufgrund der anhaltend tiefen Zinsen wird es für die Vollversicherer immer schwieriger, die notwendigen Renditen zu erwirtschaften. Treiber von hohen Renditen waren in den letzten Jahren in erster Linie die Aktienmärkte und ermöglichten so den teilautonomen Vorsorgeeinrichtungen eine hohe Verzinsung der Sparguthaben der Versicherten.

Sollte sich mit risikolosen Anlagen in der schon lange andauernden Tiefzinsphase in den kommenden Jahren weiterhin keine bzw. kaum Performance erwirtschaften lassen, werden sich wohl immer mehr Unternehmen von der Vollversicherung verabschieden. Viele Vollversicherer reagieren auf diese Herausforderungen, indem sie Anfragen von Interessenten selektiver beurteilen, unattraktive Risikoprämien einfordern oder sich ganz aus dem Geschäft zurückziehen.

Wohin entwickelt sich die Vollversicherung in der beruflichen Vorsorge?
Felix Brandenberger:
Die Vollversicherung in der beruflichen Vorsorge kommt zunehmend unter Druck. Hohe Kosten, Anlagenotstand, begrenzte Renditen und steigende Lebenserwartung machen sie für die Anbieter von Vollversicherungslösungen und die Unternehmen immer unattraktiver. Trotzdem bereichert die Vollversicherung die verschiedenen Vorsorgemodelle und bietet den Unternehmen, für welche die Werterhaltungsgarantie auf den Sparguthaben der Versicherten ein wichtiges Anliegen ist, eine sinnvolle und notwendige Ergänzung. Aufgrund strenger regulatorischer Vorgaben, eines angespannten Zinsmarktes und des Kostendrucks der Unternehmen ist wohl davon auszugehen, dass das Vollversicherungsmodell auch in den nächsten Jahren unter Druck bleiben wird. Die Asga gibt praxisnahe Auskunft und beantwortet die wichtigsten Fragen, um Unternehmen und Versicherte bei der Orientierung in diesem komplexen Umfeld zu unterstützen.

Was sollten Unternehmen beachten, wenn sie die Pensionskasse wechseln?
Eines vorweg: Das Mitwirkungsgesetz bestimmt, dass bei der Prüfung eines Wechsels der Pensionskasse alle Mitarbeitenden zu konsultieren sind, da sie ein Mitbestimmungsrecht haben. Nun, es gibt bei der Prüfung eines Pensionskassenwechsels mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Die neue Pensionskasse sollte in erster Linie solide finanziert sein. Die Sicherheit und ein positiv verlaufender Cashflow der Pensionskasse sind wohl die zentralen Treiber, wenn es darum geht, einen Pensionskassenwechsel zu prüfen.

«Die neue Pensionskasse sollte in erster Linie solide finanziert sein.»

Eine wichtige Kennzahl ist der Deckungsgrad. Welche Werte sind hier das Minimum?
Der Deckungsgrad sollte idealerweise über 110 Prozent liegen, aber mindestens 100 Prozent betragen. Er zeigt damit die gegenwärtige finanzielle Situation der Kasse auf. Das Destinatär-Verhältnis zwischen den aktiv Versicherten und Rentnern ermöglicht den Interessenten den Einblick in die Versichertenstruktur einer Pensionskasse. Ein gutes Verhältnis ist zum Beispiel zwei Drittel aktiv Versicherte und ein Drittel Rentnerinnen und Rentner. Dann gilt es, die Beteiligungsmodelle bzw. die mehrjährige Verzinsung der Sparguthaben zu vergleichen und die Risikoprämien pro Kasse sowie die Deckungsgrade gegenüberzustellen. Der Deckungsgradvergleich ist dann wichtig, wenn ein Unternehmen Mitarbeitende hat, die kurz vor dem Pensionierungsalter stehen. Generell lässt sich sagen, dass die Vorsorgeleistungen für die Versicherten nicht schlechter sein sollten. Die Änderungen und Anpassungen inklusive allfälliger Massnahmen, die sich durch den Kassenwechsel ergeben haben, müssen den Versicherten in jedem Fall transparent aufgezeigt werden.

Welche Informationen liefern wenig Mehrwert, obwohl sie immer wieder abgefragt werden?
In den Medien wird immer wieder der obligatorische Umwandlungssatz von 6,8 Prozent erwähnt. Die allermeisten Pensionskassen haben in den letzten Jahren einen «umhüllenden» Umwandlungssatz eingeführt, der erstens immer tiefer ist als die viel zitierten 6,8 Prozent – die sind gesetzlich festgelegt, gelten aber nur für den obligatorischen Teil –, aber eben zweitens die überobligatorischen Sparguthaben berücksichtigt. Dabei kann man davon ausgehen, dass der gegenwärtige Umwandlungssatz im Durchschnitt bei 5,2 Prozent liegt. Dann gilt es generell, dass detaillierte historische Renditevergleiche einzelner Kapitalanlagen oder überkomplexe Prognoserechnungen kaum einen Mehrwert bringen. Wesentlich sind hingegen klare Angaben zu Sparbeiträgen, Kostenstruktur, Verzinsung der letzten drei Jahre und der aktuelle Deckungsgrad.

Warum fehlt die Transparenz bei umhüllenden Rechnungen?
Das dürfte wohl eine Frage der Perspektive sein, denn in der beruflichen Vorsorge kennt man das Transparenzgesetz. Zudem sorgt die Rechnungslegung für Vorsorgeeinrichtungen von Swiss GAAP FER 26 für eine sehr hohe Transparenz. Somit nehmen die Pensionskassen eher die Perspektive ein und sind der Überzeugung, dass sie transparent kommunizieren. Das grundsätzliche Übel der gegenseitigen Perspektive zwischen Kassen und Versicherten, also den Destinatären, dürfte wohl eher in der Komplexität der Materie liegen. Um zu verstehen, was eine umhüllende Rechnung ist, müsste man auch verstehen, was eine gesplittete Rechnung ist. Was sind die Schattenwerte, wie unterscheiden sie sich von den gesetzlichen Mindestleistungen? Wie setzt sich das gesamte Sparguthaben zusammen, und was wird von welchem Lohnbestandteil berechnet? Leider unterstützt weder die Politik noch der Gesetzgeber die Pensionskassen in ihren Bemühungen, den BVG-Dschungel so zu entflechten, damit die Komplexität in der beruflichen Vorsorge für die Versicherten verständlicher wird.

Warum wird das Obligatorium selten getrennt vom Überobligatorium ausgewiesen?
Die Gegenfrage ist: Was nützt den Destinatären das Verständnis der gesplitteten Werte? Im Kern möchten die Versicherten wissen, wie hoch ihre Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenrenten sind. Gesplittete oder getrennt ausgewiesene Werte verwirren die Versicherten mehr, als sie ihnen nützen. Viele Kassen weisen heutzutage sowohl die Gesamtleistungen als auch die BVG-Werte auf ihren Vorsorgeausweisen aus.

Schliesslich müssen sich die Stiftungsräte die Frage stellen, wie sie ihre Versicherten informieren wollen: der Einfachheit halber nur die effektiven Leistungen (umhüllend)? Oder weist man die effektiven Leistungen sowie der Transparenz zuliebe auch die hypothetischen Mindestleistungen aus, die nur unter der Voraussetzung zur Zahlung kommen, wenn die umhüllenden Leistungen nicht höher sind als die Mindestleistungen, die sich aufgrund der Einzahlungen des BVG-Lohnes ergeben haben? Aber es besteht der Anspruch auf die effektiven Leistungen. Die Transparenz ist somit zwar gegeben, aber die Versicherten verstehen dann nichts mehr. Manchmal ist weniger mehr!

Wie sollten Versicherte beim gemischten Bezug von Rente und Kapital die richtigen Bezugsquellen wählen?
Diese explizite Wahlmöglichkeit der Bezugsquellen für Rente und Kapitalbezug stellt sich bei Pensionskassen, die über ein umhüllendes Modell für den Umwandlungssatz verfügen, nicht. Dies stellt den häufigsten Fall dar. Diese Frage würde sich nur bei denjenigen Pensionskassen stellen, die über ein gesplittetes Modell der Umwandlungssätze verfügen. Wünscht eine versicherte Person im umhüllenden Modell ganz oder teilweise anstelle der Alters- oder Altersinvalidenrente eine Kapitalabfindung, wird das Kapital bei einem (Teil-)Bezug proportional sowohl aus dem obligatorischen Altersguthaben wie auch aus dem überobligatorischen Vorsorgeguthaben entnommen.

Das VZ Vermögenszentrum hatte bereits in seinem «VZ Pensionierungs-Barometer 2023» erklärt, seit 2002 seien «die zu erwartenden Renten um 21 Prozent geschrumpft». In der 2025er Ausgabe hiess es sogar, die PK-Renten seien seit 2002 um 40 Prozent gesunken, die Renten aus AHV und Pensionskassen zusammen seien um 16 Prozent gesunken. Das Vorsorgeforum äusserte sich unter dem Titel «Irreführender Barometer» diesen August sehr kritisch dazu und sprach auch von einem «düsteren Bild». Sind die dramatischen Berechnungen des Vermögenszentrums zur beruflichen Vorsorge zutreffend?
Im Grundsatz kann bestätigt werden, dass die Berechnungsbeispiele korrekt berechnet sind. Es stellt sich vielmehr die Frage nach der Sinnhaftigkeit der gewählten Fundamentaldaten, die als Rechnungsbeispiel publiziert werden. Wenn der Medianlohn in der Schweiz für eine Vollzeitstelle bei rund 85’000 Franken liegt und man ein Beispiel mit einem Lohn von 120’000 Franken heranzieht, dann ist der Sinn und Zweck des Beispiels schon sehr fragwürdig. Auf der anderen Seite impliziert dieser Lohn die Personengruppe, die man mit dem Berechnungsbeispiel auch tatsächlich ansprechen möchte.

Sind Broker nützliche Vermittler oder unnötige Profiteure?
Die Rolle der Broker ist auch politisch ein Dauerbrenner. Richtig eingesetzt, können sie für ein Unternehmen und somit auch die Versicherten wertvolle Dienste leisten. Insbesondere wenn es darum geht, die eigene Versicherung oder die Vorsorgelösung im Markt überprüfen zu lassen, oder wenn es um die Meldung und Abwicklung von komplexen Leistungsfällen geht. Mit ihrer Expertise und ihren Verbindungen zu den Gesellschaften und Pensionskassen können sie den Unternehmen durchaus einen Mehrwert bieten.

Über Felix Brandenberger
Felix Bruno Brandenberger ist Leiter Leiter Marktentwicklung sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Asga Pensionskasse Genossenschaft mit Sitz in St.Gallen. Vorher arbeitete er unter anderem bei der Axa und der Elvia.
Über die Asga
Die Asga (gegründet 1962) ist eine als Genossenschaft organisierte Pensionskasse. Das bedeutet, dass die erwirtschafteten Erträge ausschliesslich zur Verbesserung der Vorsorgeleistungen der Versicherten verwendet werden. Mit 19’833 angeschlossenen Unternehmen und 179’328 versicherten Personen ist sie heute die grösste unabhängige Gemeinschafts-Vorsorgeeinrichtung der Schweiz. Die Asga steht für langfristige Sicherheit, einfache Abwicklung mit tiefen Verwaltungskosten, ausgezeichnete Servicequalität sowie Nähe zu den Versicherten. An ihrem Hauptsitz in St.Gallen und in den Geschäftsstellen in Bern, Graubünden und Zürich beschäftigt die Asga zurzeit über 160 Mitarbeitende. (Zahlen per 30.06.2025)
Innovationspreis
Im Rahmen der Verleihung der Awards für die besten Pensionskassen der Schweiz wurde die Asga für ihren «AsgaAssist» mit dem Innovationspreis ausgezeichnet. Die Auszeichnung wurde von der «SonntagsZeitung» in Zusammenarbeit mit der «Finanz und Wirtschaft» sowie dem Westschweizer Wirtschaftsmagazin «Bilan» vergeben. Grundlage für die Bewertung ist das unabhängige Pensionskassen-Rating des Beratungsunternehmens Weibel Hess & Partner.
Die Asga hat mit AsgaAssist als erste Gemeinschafts- und Sammelstiftung der Schweiz eine KI-gestützte Chatbot-Lösung lanciert. Der digitale Assistent ist auf der Asga Webseite rund um die Uhr verfügbar und unterstützt Ratsuchende effizient bei Fragen rund um Pensionierung, Heirat, Scheidung, Stellenwechsel und Einkäufe. AsgaAssist liefert verständliche Antworten und erleichtert den Zugang zu Formularen, Merkblättern und weiteren Informationen. Damit geht die Asga neue Wege in der digitalen Kundenkommunikation in der beruflichen Vorsorge.
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